Wissenschaftlicher Austausch und Gemeinschaftserlebnis – keiner der beiden Aspekte kam bei der ÖGMBT-Jahrestagung, die von 17. bis 19. September in Graz stattfand, zu kurz.
Könnte eine ÖGMBT-Jahrestagung auch mehr sein als eine wissenschaftliche Konferenz wie jede andere, wie es sie ja auf den unzähligen Teilgebieten der Biowissenschaften ohnehin gibt? Das fragte sich auch das Organisationsteam des diesjährigen Treffens gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs von YLSA (Young Life Scientists Austria) und lud Eric de Groot, Spezialist für Event-Design, zu einem Pre-Event. Die Botschaft: Das Besondere an der Jahrestagung ist, dass die Community der Life-Sciences hier zusammenkommt – in ihrer gesamten Vielfalt und Breite. „Diesen Gemeinschaftsaspekt wollen wir noch stärker erlebbar machen“, sagt ÖGMBT-Geschäftsführerin Alexandra Khassidov.Manches davon hatte man in der Konzeption des heuer von und an der Universität Graz ausgerichteten Treffens (unter dem wissenschaftlichen Vorsitz von Helmut Bergler, Tobias Eisenberg und Harald Pichler) schon vorweggenommen. So fanden neben den herkömmlichen Tagungsbeiträgen und Poster-Sessions auch wieder „Science Flashes“ statt, nur wenige Minuten kurze Präsentationen jüngster Forschungsergebnisse. Das soziale Rahmenprogramm wurde deutlich erweitert: Neben dem schon traditionellen Event „Wine & Science“, das wie gewohnt am Abend des ersten Konferenztags von den Ausstellern der Jahrestagung ausgerichtet wurde, nahmen am Tag darauf professionelle Guides und Grazer Forscher mit Ortskennnissen die Tagungsteilnehmer auf geführte Wanderungen mit, die auf der Rutsche im Inneren des Schlossbergs und schließlich bei einem Abendempfang auf der Dachterrasse des Café Freiblick endeten.
Welche molekularen Mechanismen lassen uns altern und Krebs entstehen?
Das alles soll nicht bedeuten, dass der wissenschaftliche Austausch zu kurz kam. Bewährt hat sich dabei die Aufgliederung in zwei Stränge („Tracks“), von denen der eine sich Ergebnissen der Grundlagenforschung, der andere sich Methoden und Technologien (In-vitro-Modelle, Metabolic Engineering, KI-getriebene Anwendungen, Bioraffinerien u.v.m.) zuwandte. Die Zahl der internationalen Plenar- und Keynote-Vortragenden war in diesem Jahr besonders hoch und breit gefächert. Einige Beispiele: In den 1980er-Jahren war die Ent-deckung, dass Helicobacter pyloris Magengeschwüre und onkologische Folgeerkrankungen auslösen kann, eine Sensation, die 1989 mit der Zuerkennung des Medizin-Nobelpreises finale Anerkennung fand. Anne Müller, die am Institut für Molekulare Krebsforschung der Universität Zürich arbeitet, hat sich mit den Mechanismen dieser Infektionsinduzierten Krebsentstehung beschäftigt und den Stand des Wissens im diesjährigen Eröffnungsvortrag zusammengefasst. Wie zumeist spiegelte sich in der Schwerpunktsetzung des Programms auch das Forschungsprofil des Gastgeberstandorts wider. Grazer Forschungsgruppen haben sich beispielsweise besonders auf dem Gebiet der Erforschung von Alterungsprozessen hervorgetan. Das fand seine Entsprechung nicht nur in zwei Vortagssträngen zum Thema „Gesundes Altern“, sondern auch in gleich mehreren Plenarvorträgen. Valter D. Longo, Professor für Gerontologie an der University of Southern California z. B. beschäftigt sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit mit den molekularen Mechanismen des Alterns, deren Verständnis auch Interventionen gegen altersbedingte Krankheiten eröffnen könnte. In Graz berichtete er über Ernährungsweisen, die die bekannt förderliche Wirkung regelmäßigen Fastens auf die Lebensdauer nachahmen. Susan Howlett vom Department für Pharmakologie der Dalhousie University in Halifax, Kanada, ist bekannt für ihre Arbeiten zur Herzkontraktion und darüber, wie die Funktion von Herzzellen durch Alter und Gesundheitszustand beeinflusst wird. Zur Quantifizierung der Gebrechlichkeit hat sie einen eigenen „Frailty Index“ eingeführt, über den sie auch bei ihrem Plenarvortrag auf der ÖGMBT-Jahrestagung sprach.
Wie werden Genomstrukturen stabil gehalten und Proteine abgebaut?
Auch Susan Gassers Beitrag (sie kam von der Universität Lausanne nach Graz) zum Thema Heterochromatin fällt in diesen Themenkreis. In dieser dichten supramolekularen Struktur im Zellkern ist DNA fest an Histone und andere Proteine gebunden und dadurch inaktiviert, weil dem Zugriff „von außen“ unzugänglich. Entsprechend hoch ist die Bedeutung von Hetero-chromatin für die Genomstabilität, was sich besonders bei Alterungs- und Krebsentstehungsprozessen auswirkt. Auch die Protein-Forschung ist seit langem stark in Graz vertreten. Dazu passte der Plenarvortrag von Andy Martin, der für die University of California in Berkeley und das Howard Hughes Medical In stitute forscht. Er hat sich in den vergangenen Jahren ver-stärkt der Erforschung des Proteinabbaus gewidmet. Eine der begangenen Routen ist dabei die Markierung durch Ubiquitin, die Proteine gleichsam zur Degradation durch das Proteasom „freigibt“ – darüber berichtete er auch auf der ÖGMBT-Tagung. Ins Vortragsprogramm eingebettet waren die „Rising Star Lectures“, in denen die vom BMAW geförderten Preisträger der „Austrian Life Sciences Research Awards“ ihre Arbeit vorstellten, sowie zwei Workshops: Während einer davon in die Methodik der Kryoelektronenmikroskopie einführte, beschäftigte sich der andere mit einer besonderen Facette der Lehre. Anita Emmerstorfer-Augustin und Robert Kourist, die Laborkurse an der TU Graz organisieren, verwenden das E-Learning-Werkzeug „LabBuddy“, das bei der Vorbereitung auf die Laborarbeit hilft und durch die Analyse der gewonnenen Ergebnisse leitet. „Das Thema Lehre wollen wir in Zukunft noch stärker thematisieren“, heißt es von Seiten des ÖGMBT-Vorstands. Auch der ÖGMBT-Jahrestagung wäre beinahe das September-Hochwasser in die Quere gekommen. Zwar war der Raum Graz selbst nicht betroffen, aber zahlreiche Bahnstrecken, die Teilnehmer nutzen wollten, um an den Austragungsort zu gelan-gen. „Wir haben, bereits im Flixbus sitzend, Fahrgemeinschaften organisiert, um Betroffene zusammenzuspannen“, erzählt Khassidov über aufregende Momente knapp vor Tagungsbeginn. Diese Art der Anreise hat bei einigen Anklang gefunden, es soll daher auch im nächsten Jahr eine „Börse für Fahrgemeinschaften“ geben. Dann geht es übrigens nach Innsbruck, wo von 24. bis 26. September 2025 die nächste ÖGMBT-Jahrestagung vom Stapel läuft.