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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Pilz-Fabrik für neue Wirkstoffe

on 16 October, 2023

Mit hochentwickelten Methoden bringt die Plattform Bioactive Microbial Metabolites (BiMM) Pilze dazu, im Labor neuartige Substanzen als Basis von Wirkstoffen für medizinische und agrarische Anwendungen  zu bilden. Die ÖGMBT ist dabei ein wichtiger Partner.

Am Anfang stand ein Zufall: Wissenschaftler am Institut für Mikrobielle Genetik (IMiG) der Universität für Bodenkultur (BOKU) am Standort Tulln erkannten, dass bestimmte epigenetische Marker in Pilzen die Bildung sekundärer Metaboliten und anderer bioaktiver Stoffe hemmen. Wurde der epigenetische Code verändert, aktivierte der  Pilz nicht genutzte Synthesewege und erzeugte wesentlich mehr, vor allem meist unbekannte, sekundäre Metaboliten. Daraus entstand eine internationale Forschungsrichtung zu pathogenen Pilzen. Ferner ergab sich die Idee, mit epigenetischem Engineering in den Code der Pilze einzugreifen, um neue bioaktive Substanzen zu produzieren. Und so entwickelte der Leiter des Instituts, Joseph Strauss, mit der Veterinärmedizinischen Universität Wien (VetMed), dem Interuniversitären Forschungsinstitut für Agrarbiotechnologie (IFA-Tulln) und dem Austrian Institute of Technology (AIT) das Konzept einer Forschungsplattform. Als Finanzierungspartner fungierten der Strukturmittelförderungsfonds des Bundes und das Land Niederösterreich. So entstand 2015 die Bioactive Microbial Metabolites Plattform (BiMM), die bisher mehr als 80 neuartige Substanzen entdeckte, insbesondere potenzielle Antibiotika für die Medizin und Fungizide für die Landwirtschaft. Zwei der Moleküle wurden mit Partnern aus der Industrie bis zur Patentreife gebracht, an zwei weiteren wird in diese Richtung geforscht. Nötig waren dafür die ständige Suche nach neuen Pilzarten und der Einsatz hochentwickelter automatisierter Labortechnologie, mit der die BiMM Millionen Tests durchführte. „Die meisten dieser Stoffe sind genetisch versteckt. Ihre Bildung muss mit unterschiedlichen Verfahren aktiviert werden“, erläutert Strauss. In der Natur bilden die Pilze diese Biochemikalien nur bei Einwirkung von Stressfaktoren. Im Labor setzen Strauss und sein Team die Pilze gezielt derartigen Einflüssen aus, die unter anderem den epigenetischen Code der Genregionen verändern und so die Bildung unbekannter Substanzen aktivieren. Unter imitierten Naturbedingungen werden die Pilze im Labor quasi zur Pharmafabrik.

 

Öffentliche Automatisierungsstraße

Laut Strauss verfügt die BiMM über die österreichweit größte Sammlung von Pilzen, die im hochdurchsatzfähigen Format organisiert ist. Sein Team vereint Expertisen in Genetik, Mikrobiologie, Mykologie und Bioinformatik bis hin zur chemischen Isolierung und Strukturaufklärung der neuen Substanzen. Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen wie Antibiotika und Fungiziden entnimmt dabei ein Pipettierroboter mit flexiblen Armen diesen Kulturen vordefinierte Sets und bringt die jeweiligen Pilze zum Wachsen. Ein zweiter Roboter legt ein weiteres vordefiniertes Set darüber und setzt damit die Pilze vordefinierten Stressfaktoren aus. In Inkubatoren entstehen in der Folge bioaktive Metaboliten und somit Kandidaten für neue Wirkstoffe, die beispielsweise zur Bekämpfung von Fungizid- oder antibiotikaresistenten Erregern dienen können, das Wachstum von Pflanzen hemmen, Krebszellen blockieren oder entzündungshemmend wirken. Ob eine neue Substanz Wirkung zeigt, wird nicht nur im eigenen Labor getestet, sondern mit Partnern aus der medizinischen und agrarischen Forschung. „Meist handelt es sich um bisher unbekannte Moleküle. Denn wir können alle Substanzen ausschließen, die mit anderen als unseren epigenetischen Verfahren bereits erzeugt wurden“, berichtet Strauss. Ihm zufolge „macht die BiMM die automatisierten Stoffscreenings, die manche Unternehmen gerne machen würden. Wir sind in Österreich die einzige öffentlich zugängliche Automatisierungsstraße in der Mikrobiologie“. Seit 2022 wird die betreffende Infrastruktur über eine Core-Facility der BOKU betreut. Damit können die Geräte auf dem neuesten Stand gehalten und interne sowie externe Nutzer durch geschultes Personal betreut werden.

 

„Fantastische Vertretung“
Oft hilfreich für die BiMM ist die Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie (ÖGMBT). Laut Strauss ist diese „eine fantastische Vertretung der einschlägigen Einrichtungen. Wir sind sehr dankbar, dass die ÖGMBT bei den In stitutionen im Bereich der österreichischen Forschungsförderung immer wieder Schienen öffnet. Sie beobachtet die dortigen Entwicklungen sehr genau und bemüht sich um Verständnis für unsere Anliegen“. Die BiMM nimmt auch immer wieder Slots bei den Jahrestagungen der ÖGMBT wahr, aus denen sich bisweilen Kooperationen ergeben. Ferner ist die ÖGMBT bei der Rekrutierung von Nachwuchs für die BiMM von Nutzen. Eine enge Zusammenarbeit besteht mit der Wiener VetMed. Sie hat sich an den Arbeiten der BiMM beteiligt, weil für sie das Thema „Antibiotikaresistenz“ sowohl hinsichtlich der antibakteriellen als auch der antifungalen Substanzen für die Tiermedizin höchst interessant ist. Laut Strauss ergibt sich dabei zunehmend das Problem der Überschneidung zwischen dem Agrarsektor und der Humanmedizin: „Sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin bzw. im Pflanzenschutz am Feld werden Substanzen aus denselben Wirkstoff-Gruppen eingesetzt. Somit können Resistenzen aus dem agrarischen bzw. veterinärmedizinischen Bereich in die Humanmedizin übertragen werden. Das erfordert neue Wirkstoffe, die diese Resistenzen brechen können. Hinzu kommt, dass sich aufgrund des Klimawandels im Agrarbereich Schädlinge und Krankheiten etablieren und vormals unbekannte Schäden verursachen. Laut der Welternährungsorganisation FAO werden weltweit etwa 40 Prozent der Nahrungs- und Futtermittelproduktion durch Pflanzenkrankheiten und Schädlinge vernichtet. Gleichzeitig gehen die europäischen und nationalen Behörden dazu über, die Zulassung für alte Wirkstoffe nicht mehr zu verlängern und neue Wirkstoffe aus natürlichen Quellen zu bevorzugen, Wirkstoffe, wie sie die BiMM entdeckt und identifiziert.

 

Genug zu tun
Auf absehbare Zeit wird Strauss und dem Team der BiMM die Arbeit daher nicht ausgehen. Vorgesehen ist, etwa fünf der 50 in den vergangenen Jahren entdeckten Wirkstoffkandidaten mit Partnern aus der Industrie zur Marktreife zu bringen. Die BiMM wird sich dabei weiterhin auf Antibiotika, Fungizide sowie sonstige Pflanzenschutzmittel konzentrieren. Ferner soll das Netzwerk der Kooperationspartner weiter ausgebaut werden. Denn manche der Substanzen, die die BiMM entdeckt, haben möglicherweise Eigenschaften, die sie selbst nicht testen können,  etwa im Bereich der Krebsbekämpfung. Daher arbeitet sie mit spezialisierten Partnerlabors zusammen, wie etwa in Österreich mit der MedUni Wien, der Universität Wien oder den Fachhochschulen in Krems und Wels, aber auch europäischen Partnern, wie dem Helmholtz-Institut für Infektionsforschung in Braunschweig. Sie alle erhalten neu entdeckte Substanzen für Tests und können diese im Rahmen einer Kooperation für die weitere Entwicklung nutzen. Nicht vorgesehen ist dagegen, selbst tiefer in die Entwicklung von Arzneimitteln einzusteigen. Laut Strauss ist das „ein sehr spezialisiertes Geschäft. Wir müssten praktisch alles, was wir jetzt machen, aufgeben und uns auf eine einzige Substanz konzentrieren“. Das aber komme nicht infrage: „Wir wollen weiterhin Grundlagenforschung betreiben. Ohne sie fehlt das Fundament, auf dem man aufbauen kann.“

www.bimm-research.at
https://boku.ac.at/dagz/imig

 

Published in Chemiereport 06/2023