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Wir sind ab nun regelmäßig im CHEMIE REPORT mit einer ÖGMBT-Kolumne mit den neuesten Entwicklungen aus der österreichischen Life Science Szene vertreten. Wenn Sie einen interessanten Beitrag dazu leisten wollen, richten Sie Ihre Anfrage bitte an die Geschäftsstelle!

 

 

Ausnahmezustand in den Life Sciences: Von H wie Home-Office bis K wie Kurzarbeit

on 16 June, 2020

Unis und Fachhochschulen, Konzerne und Startups – von den Pandemie-bedingten Einschränkungen sind
alle betroffen. Wir haben uns bei Mitgliedsorganisationen der ÖGMBT umgehört, wie sie mit der Situation umgegangen sind.

Shutdown, Lockdown, Stay-at-home – nichts geht mehr? Ganz so war es in der Life-Sciences-Branche auch in Zeiten von COVID-19 nicht. Viele Aktivitäten liefen weiter, wenn auch unter besonderen Umständen. „Ich halte für gewöhnlich die Vorlesung ,Zellbiologie für Mediziner‘ vor zahlreichen Hörern“, erklärt Lukas Huber, Professor für Zellbiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck und Präsident der ÖGMBT. Weil diese physisch in diesem Semester nicht stattfinden konnte, hat er auf einen elektronischen Weg zurückgegriffen, um mit den Studenten in Verbindung zu treten: Er richtete einen eigenen You-Tube-Kanal ein und trug im Live-Stream vor: „Das hat gegenüber einer Aufzeichnung den Vorteil, dass Studenten im Live-Chat unmittelbar Fragen stellen können. Dieses Format trifft auf große Akzeptanz.“ Hubers Kanal hatte binnen weniger Wochen mehr als 20.000 Zugriffe zu verzeichnen – nicht nur aus Innsbruck, sondern aus ganz Österreich, der Schweiz und anderen deutschsprachigen Regionen.

Auch Harald Hundsberger, Leiter des Instituts für Biotechnologie der IMC FH Krems, die jüngst als institutionelles Mitglied der ÖGMBT gewonnen werden konnte, erzählt, wie man in der Lehre auf die neue Situation reagiert hat: „Wir haben schon nach einer Woche auf Distance Learning umgestellt, alle Lehrveranstaltungen im Sommersemester finden auf diese Weise statt.“ Laborübungen hingegen konnten nicht fortgesetzt werden. „Wir sind am Planen, und die Studierenden werden noch vor dem Beginn des Wintersemesters die Übungen nachholen können.“ Auch die Forschungsaktivitäten im Labor mussten für einige Wochen eingestellt werden. „Wir haben die Situation vorausgesehen und schon einige Zeit vorher keine größeren Bestellungen mehr getätigt“, sagt Hundsberger. Nun wurde ein Notfallplan erarbeitet, um die Arbeit mit zwei Teams, die abwechselnd anwesend sein sollen, wieder aufzunehmen.
Am Institut für Zellbiologie der Meduni Innsbruck konnte auch in den vergangenen Wochen ein Notbetrieb aufrechterhalten werden, der den Mitarbeitern ein sicheres Arbeiten ermöglicht: „Wir haben nach dem Lockdown schnell eine Kernmannschaft definiert, die im Rahmen eines Schichtbetriebs die Versorgung von wichtiger Infrastruktur, beispielsweise der Gewebekulturen, sicherstellt“, erzählt Huber. Die anderen Team-Mitglieder arbeiteten im Home-Office, schrieben Protokolle und Forschungsanträge oder verfassten wissenschaftliche Publikationen und SOPs. Meetings wurden über Videokonferenz-Tools abgehalten, der Forschungsbetrieb konnte so auf Sparflamme weiterlaufen.

Eingeschränkte und intensivierte Aktivitäten
Der eingeschränkte Betrieb an den Unis kann auch für ein junges Startup-Unternehmen Folgen haben: „Wir haben unsere Labors an der Vetmed und können diese derzeit nur sehr eingeschränkt nutzen“, erzählt Joachim Seipelt, COO von Blue Sky Immunotherapies und ÖGMBT-Kassier. Man hat sich daher entschlossen, die Laboraktivitäten ganz stillzulegen. Für die zwölf Mitarbeiter des Unternehmens hat man von der Möglichkeit zur Kurzarbeit Gebrauch gemacht und nur systemrelevante Aktivitäten weiterlaufen lassen. Für ein Unternehmen, das neue Therapieformen gegen Virus- und Krebserkrankungen entwickelt, ist das ein gravierender Einschnitt: „Wir haben uns ja Meilensteine gesetzt und von Investoren und Förderagenturen Druck, diese einzuhalten“, gibt Seipelt zu bedenken. Erleichternd wirkt, dass von der derzeitigen Situation alle betroffen sind und daher dafür Verständnis herrscht, wenn es Verzögerungen gibt. „Entscheidend wird sein, wie lange die Einschränkungen gelten werden, ob es sich also nur um eine kleine Delle oder eine längere Phase der Unsicherheit handelt“, meint Seipelt. Derzeit wird auch bei Blue Sky überlegt, in welchen Schritten die Laborarbeit wieder aufge-nommen werden kann.

Etwas anders stellt sich die Situation in großen Pharmaunternehmen dar. Auch am Takeda-Standort in Wien sind zwar nur Mitarbeiter vor Ort anwesend, die an geschäftskritischen Aktivitäten arbeiten. Aber solche gibt es viele: Die Produktion von Plasma-produkten läuft voll, auch in Forschungund Entwicklung wird weitergearbeitet. „Wir haben ja geschultes Personal und sind es gewöhnt, hygienisch zu arbeiten“, meint Monika Wiesner, Head of Communications von Takeda Austria. Einige Projekte wurden erst angesichts der COVID-19-Epidemie losgetreten, etwa die Entwicklung einer Therapie zur passiven Immunisierung.

Neue Formen der Zusammenarbeit
Vieles spielt sich aber auch bei Takeda derzeit im Home-Office ab: Persönliche Meetings wurden abgesagt, Aktivitäten auf Online-Kanäle verlagert. Auf Kurzarbeit musste Takeda in dieser Situation nicht zurückgreifen: „Wir haben sehr flexible Arbeitszeitmodelle, die auch berücksichtigen, dass Mitarbeiter zu Hause nicht immer 100 Prozent der Leistung erbringen können“, sagt Wiesner. Eine wichtige Rolle kommt gerade in dieser Situation der Kommunikation zu: „Es gibt zwei bis drei Mal pro Woche E-Mails an die Mitarbeiter, um sie über aktuelle Entwicklungen zu informieren. Zudem gibt es wöchentlich ausführliche Q&A-Sessions mit dem gesamten Management. Mehr als 1.000 Teilnehmer nützen regelmäßig dieses Angebot“, berichtet Wiesner. Auch wurden die Mitarbeiter aktiv auf Fehlinformationen hingewiesen, die im Internet kursieren und demgegenüber auf seriöse Quellen wie WHO oder AGES verwiesen. Auch Lukas Huber hat ähnliche Erfahrungen als Führungskraft gemacht: „In einer solchen Situation ist es wichtig, die Sorgen der Mitarbeiter ernst zu nehmen, aber auch unbegründete Ängste zu nehmen und ihnen einen sicheren Boden unter den Füßen zu geben.“

Vom aufrechten Betrieb in der Pharmabranche profitieren auch Studiengänge der Biowissenschaften: „Viele Praxissemester, die Studierende zu absolvieren haben, liefen trotz der Einschränkungen weiter“, erzählt Hundsberger. Einige Studenten waren allerdings in den USA untergekommen und mussten nach Österreich zurückkehren. Umgekehrt konnten Austauschstudenten der Fachhochschule, die aus Übersee stammen, von Krems aus über Webkonferenzen betreut werden: „Wir haben ihnen Daten aus dem Zellkulturlabor zur Verfügung gestellt und die Aufgabe gegeben, auf dieser Basis eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen.“

Neue Modelle der Kommunikation hat man aber auch in der ÖGMBT selbst ausprobiert. Der erste „Out of the Box Talk“ der ÖGMBT Young Life Scientists Austria (YLSA) fand kürzlich online statt, weitere virtuelle Formate für Mitglieder sind in Planung. Und auch in den Führungsgremien zog man mit: „Wir hatten vor einigen Wochen Präsidiumskonferenz per Videokonferenz, das klappt wunderbar“, sagt Huber: „Ich frage mich, warum ich eigentlich sooft nach Wien geflogen bin.“

Chemiereport 03/20