Der grundsätzliche Zugang von Forschungseinrichtungen zu Beständen bezogener Daten bedeutet nicht, dass nun alles erlaubt ist.
Nach intensiven Debatten beschloss der Nationalrat am 20. April das „Datenschutzanpassungsgesetz Wissenschaft und Forschung“ zur Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der Europäischen Union. Grob gesprochen, eröffnet das Gesetz wissenschaftlichen Einrichtungen inklusive der Forschungs- sowie Entwicklungsabteilungen von Pharmaunternehmen den rechtlich durchsetzbaren Zugriff auf bestimmte Bestände personenbezogener Daten, die aufgrund von Bundesgesetzen geführt werden. Damit wird nicht zuletzt die sogenannte „Registerforschung“ erleichtert. Überdies hat das Gesetz das Ziel, die Rechtssicherheit bei der Arbeit mit Biobanken zu erhöhen.
Ob sich diese Erwartungen erfüllen werden, ist derzeit noch schwer abzuschätzen, konstatiert Kurt Zatloukal, Mitglied der ÖGMBT, Vorstand des Diagnostik- und Forschungszentrums für Molekulare Biomedizin an der Medizinischen Universität Graz und Direktor des österreichischen Knotens der europäischen Biobankenforschungsinfrastruktur BBMRI-ERIC. Die DSGVO ermögliche den Mitgliedsstaaten, etliche der in ihr enthaltenen Bestimmungen zu spezifizieren. Und das sei differenziert zu beurteilen: „Der große Mehrwert der DSGVO war ja, ein einheitliches Rechtssystem für Europa zu schaffen und damit auch ein sicheres Umfeld zu bieten, das den Austausch von Daten erleichtert. Weichen die Bestimmungen in den Nationalstaaten zu stark voneinander ab, könnte dieser Mehrwert zumindest teilweise wieder verloren gehen.“
Inhaltlich gehen die neuen Bestimmungen laut Zatloukal in die richtige Richtung. Sehr wichtig sei etwa das Prinzip des „Broad Consent“. Im Wesentlichen besagt dieses: Ein Patient stimmt zu, dass seine (anonymisierten bzw. pseudonymisierten) Daten nicht nur für ein bestimmtes Forschungsvorhaben zur Verfügung stehen, sondern auch für sich daraus eventuell ergebende weitere Untersuchungen. Zatloukal zufolge sind weit über 90 Prozent der Patienten bereit, Proben und Daten der medizinischen Forschung zur Verfügung zu stellen, wenn sie um Zustimmung ersucht werden. Sie haben jedoch kein Interesse, diesbezüglich immer wieder kontaktiert zu werden: „Wenn jemand das dritte oder vierte Mal gefragt wird, kann es sein, dass er sagt: Vielen Dank, aber jetzt reicht es mir.“ Insofern sei der „Broad Consent“ wohl auch im Interesse der Patienten. Und Zatloukal fügt hinzu: „Broad Consent heißt nicht Blanket Consent. Man darf also nicht alles tun, ist aber zumindest in einer bestimmten Richtung frei.“ Das sei notwendig. Denn in der Grundlagenforschung könne ein Wissenschaftler am Beginn eines Vorhabens oft nicht sagen, welche Fragestellungen und weiteren Analysen sich ergeben werden.
Allerdings ist es nicht immer einfach, die Zustimmung des Patienten einzuho-len. Vom bürokratischen Aufwand abgese-hen, kann es vorkommen, dass ein Patient krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, die Verwendung seiner Daten zu erlauben. Dies betrifft etwa den Bereich der Intensivmedizin sowie die Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen wie Demenz. Die Nutzung derartiger Patientendaten generell zu verbieten, hieße laut Zatloukal, „bestimmte Krankheitsbilder faktisch von der Forschung abzuschneiden. Wichtig ist auch zu unterscheiden, dass die Forschung an biologischen Proben oder Daten im Labor etwas grundsätzlich anderes ist als das Testen eines neuen Medikaments am Patienten selbst“.
Dass auch Pharmaunternehmen unter bestimmten Voraussetzungen personenbezogene Daten für Forschungszwecke nutzen dürfen, ist Zatloukal zufolge unverzichtbar. Anders sei die Entwicklung neuer Diagnostika und Arzneimittel nicht möglich: „Auf europäischer Ebene differenziert man deshalb nicht zwischen akademischer und industrieller Forschung, und der Forschungsbegriff ist bewusst sehr weit gehalten“.
Nicht zu unterschätzen sind laut Zatloukal die Herausforderungen bezüglich der personalisierten Medizin. Deren Charakteristikum bestehe nun einmal darin, „Erkrankungen so detailliert zu beschreiben, dass die Merkmale einzelner Patienten im Vordergrund stehen. Die Forschung im Kontext der personalisierten Medizin kommt daher an der Notwendigkeit, mit identifizierbaren Daten zu arbeiten, nicht vorbei. Anonymisieren ist daher für Forschungen im Bereich der personalisierten Medizin oft nicht machbar“.
Schutzwürdige Daten
Eine ähnliche Position vertritt der Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO). Der zuständige Referent, Franz Latzko, verweist auf die Unverzichtbarkeit klinischer Studien, um „die Sicherheit und Wirksamkeit neuer Wirkstoffe zu garantieren“. Freilich seien die dabei verwendeten personenbezogenen Daten höchst sensibel und entsprechend schutzwürdig. Daher müsse die Zustimmung der jeweiligen Patienten zur Verwendung ihrer Daten eingeholt werden. Diese würden im Rahmen der klinischen Forschung pseudonymisiert bzw. anonymisiert. Nur der behandelnde Arzt könne die Verbindung zwischen den Daten und den Patienten herstellen. Ihm obliege folglich „eine hohe Verantwortung“. Wichtig ist laut Latzko die Möglichkeit, anonymisierte Daten, die im Zuge einer Studie gewonnen wurden, auch für andere Studien weiterverwenden zu können: „So können zum Beispiel Erkenntnisse aus der Krebstherapie auch für die Behandlung von Multipler Sklerose hilfreich sein.“ Das verdeutliche die Bedeutung des „Broad Consent“. Grundsätzlich hält Latzko das Datenschutzanpassungsgesetz Wissenschaft und Forschung für gut gelungen: „Es schafft eine ausgewogene Balance, indem es unter strengen Auflagen die Datennutzung für Forschungszwecke ermöglicht und gleichzeitig den notwendigen Schutz personen-bezogener Daten sicherstellt.“
Data Sharing als „unbedingtes Muss“
Michaela Fritz, Mitglied der ÖGMBT und Vizerektorin der Medizinischen Universi-tät Wien, erläuterte ihre Position bei einer Pressekonferenz des Wissenschaftsministeriums im Vorfeld der Beschlussfassung des Gesetzes. Die moderne medizinische Forschung arbeite mit anonymisierten, pseudonymisierten, aber auch personenbezogenen Daten. Und der Zugang zu diesen Daten müsse gewährleistet sein. Ferner bezeichnete sie die Weitergabe von Daten an nationale und internationale Partner sowie das Data Sharing als „unbedingtes Muss“. Fritz zufolge erstellten die österreichischen „Forscher des Jahres“ von 2017 und 2018 eine gemeinsame Publikation zu Diabetes-Erkrankungen. Dabei untersuchten sie die Daten von rund 1,8 Millionen Patienten, von denen 300.000 an Typ-2-Diabetes leiden und die mit etwa 300 verschiedenen Medikamentenkombinationen behandelt werden. Aus derartigen Big-Data-Analysen ließen sich neue und relevante Gesund-heits- und Präventionsmaßnahmen ableiten. Unter anderem stellten die Forscher in dieser Publikation fest, dass die verabreichten Medikamentenkombinationen das Krebsrisiko erhöhen oder senken.
Im Zuge der Präventionsforschung können laut Fritz auch kleinere Datenbestände (Register) relevant sein, insbesondere, wenn es darum geht, Daten von Patienten über einen längeren Zeitraum nachzuverfolgen. Leidet jemand im Kindesalter an einer Krankheit, kann es sinnvoll sein, seine Entwicklung bis ins Erwachsenenalter zu beobachten. So lässt sich möglicherweise feststellen, wie sich Umwelteinflüsse, genetische Einflüsse sowie pränatale Ereignisse auf den Krankheitsverlauf auswirken.
Hinsichtlich der Biobanken verwies Fritz darauf, dass die onkologische Forschung zunehmend versucht, die Mechanismen hinter der jeweiligen Krebserkrankung zu erkennen. Diese Mechanismen können aber auch für andere Krebsarten relevant sein. Umso wichtiger sei daher der „Broad Consent“. Und noch ein Beispiel für die Sinnhaftigkeit der neuen Regelungen führte Fritz ins Treffen: die „Seltenen Erkrankungen“. Ihr zufolge fordern davon Betroffene „ganz massiv, dass die Forschung diese Daten weitergibt und europäisch teilt. Denn nur so lassen sich neue Erkenntnisse gewinnen“. Ihrer Ansicht nach wurde mit den neuen Regelungen „ein Spagat geschafft“. Einerseits sei das Individuum geschützt. Andererseits habe die Forschung unbürokratisch Zugang zu Daten sowie Rechtssicherheit.